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Immer weiter. Bin Laden ist tot, aber auf Barack Obama warten weitere außenpolitische Herausforderungen.

© dpa

Nach bin Ladens Tod: Vereinigte Staaten am Wendepunkt

Obama hat das geschafft, was Bush versagt blieb - und bekommt nun sogar Lob von den Republikanern. Die preisen auf einmal die Entschlossenheit des Präsidenten bei der Suche nach bin Laden - doch Obamas Mission ist noch nicht erfüllt.

Amerika wirkt wie verwandelt. Bis Sonntag schien Lob der Republikaner für Barack Obama undenkbar. Jetzt preisen sie seine Entschlossenheit bei der Suche nach bin Laden und seinen Mut, den Zugriff in Pakistan zu wagen. Instinktiv spüren die Menschen, dass die USA an einem Wendepunkt stehen. Der Angriff auf New York 2001 stürzte ein unvorbereitetes Land in eine neue Epoche seiner Außenpolitik. Ein Jahrzehnt lang stand die Jagd nach Al Qaida im Vordergrund. Der Präsident mochte wechseln und eine schwere Finanzkrise als neue Bedrohung auftauchen – der „Mind Set“ blieb: Die Terrorgefahr bestimmte Amerikas Umgang mit der Welt. Obama musste in Bushs Schuhe schlüpfen, ob er wollte oder nicht, und das Misstrauen ertragen, ob die bei der Terrorabwehr nicht eine Nummer zu groß für ihn seien. Jetzt kann er sie in die Ecke werfen. Er hat geschafft, was Bush versagt blieb.

Bin Ladens Tod schließt ein Kapitel. Nicht, weil die Terrorgefahr beseitigt wäre oder Afghanistan nun ein stabiles Land wird. Wichtiger als die handfesten Folgen für die Lageanalyse der Außenpolitiker, Militärs und Geheimdienstler ist die psychologische Wirkung. Amerika kann sich von der manischen Fixierung auf Al Qaida lösen. Erst jetzt hat Obama eine Chance, die USA aus dem alten Gedankenkorsett zu befreien und neue Strategien in der Weltpolitik auszuprobieren.

Für seine bisherige Amtszeit und insbesondere die jüngsten Monate galt: Die Geopolitik hat sich schneller gewandelt als der Umgang mit ihr. Vor allem die arabische Welt hat sich stärker verändert als die Arabienpolitik der USA. Eines freilich haben Amerika und Arabien jetzt gemeinsam: Die Befreiung von alten Denk- oder Machtstrukturen führt nicht automatisch zur Epochenwende. Sie eröffnet nur die Chance, eine neue Ära einzuleiten. Viele faktische Rahmenbedingungen bleiben unverändert. Neben die neuen Optionen treten neue Risiken.

Zum Beispiel Afghanistan und Pakistan: Amerika und die Nato wollten so oder so im Juli mit der Truppenreduzierung beginnen und bis 2014 die Verantwortung für die Provinzen nach und nach abgeben. Bin Ladens Tod macht das leichter. Obama kann sagen: „Mission accomplished!“ An der Sicherheitslage hat sich wenig geändert. Vielmehr wirkt Pakistans Doppelspiel jetzt noch perfider, als man im Westen ohnehin annahm. Wer mag glauben, Regierung und Geheimdienst hätten keine Ahnung von bin Ladens Versteck gehabt? Die Region bleibt explosiv, nur der Abzug wird einfacher.

Die Entwicklung in Palästina, Ägypten und Syrien stellt die gemeinsame Nahostpolitik Amerikas und Europas auf eine harte Probe. In der EU meinen viele, die so genannte Versöhnung von Fatah und Hamas erleichtere die Vermittlung, weil die Palästinenser bald mit einer Stimme sprechen. In den USA sieht man es umgekehrt. Eine gemeinsame Fatah-Hamas-Regierung erschwert jeden Fortschritt, jedenfalls so lange die Hamas die Grundbedingung des Dialogs verweigert: Anerkennung Israels und der bisherigen Verträge. Streng genommen, müssen die USA jetzt ihre finanzielle Unterstützung für die Autonomiebehörde beenden. So schreibt es der Kongress vor. Und wird ein demokratischeres Ägypten den Friedensprozess befördern oder neue Tunnels für den Waffenschmuggel nach Gaza zulassen? Ist Syrien als Diktatur berechenbarer oder als Land im Aufruhr?

Obama trägt nun eigene Schuhe, die vielleicht sogar eine Nummer größer sind als die Bushs. Wohin werden sie ihn und die Welt tragen?

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